Dump Time and exhibition on sleep and withdraw as resistance
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Dump Time. Für eine Praxis des Horizontalen

Ausstellung: 5. März bis 15. Mai 2011
Kuratiert von Anke Hoffmann und Yvonne Volkart

KünstlerInnen: Alex Antener, Igor und Ivan Buharov, Cristina David, Johanna Domke, Factory of Found Clothes/Gluklya, Eiko Grimberg, Yolande Harris, Petra Elena Köhle/ Nicolas Vermot Petit-Outhenin, Stefan Panhans, Mladen Stilinovic, Anna Zaradny

Wir sind eine schlaflose Gesellschaft geworden. Viele können nicht schlafen, denn ungewillt rattert es weiter, lässt sich die Maschine nicht abstellen. Viele wollen nicht schlafen, weil es so Wichtiges zu tun oder erleben gibt. Drogen helfen, den Schlaf zu besiegen. Forschungsberichte halten fest, dass in der Menschheit noch nie so wenig geschlafen wurde wie heute. Die Industrialisierung führte dazu, dass sich Tag und Nacht immer mehr angleichen. Gleichzeitig existiert ein Muss zum Schlaf. Nichts erscheint beängstigender als das nächtens ruhelose Umherwandeln. Wenn der Schlaf sich nicht einstellen will, wird er medikamentös erzwungen, um endlich Ruhe zu haben, ausruhen zu können und abzutauchen ins dunkle Vergessen.

Der Schlaf ist das Gegenkonzept zum Tag. Er ist bewusstlose Auszeit, in der der Mensch nichts tut, in Träume abdriftet, in andere Welten und Zeiten, sich verwandelt. Die Erlebnisse der Nacht lassen wir gewöhnlich am Morgen hinter uns, stehen auf, als ob nichts gewesen wäre. Auch das Erwachen ist ein Vergessen, oder denken wir an die Psychoanalyse, ein Verdrängen, so wie der Schlaf auf andere Weise ein Vergessen ist. Im Schlaf sind wir da und doch nicht da. Schlaf und Traum bergen unheimliche Dimensionen, denn es geht um (Kontroll-)Verluste, um Hingabe, um ein Anders-Werden. Da, wo es um diese entsubjektivierenden Momente und um den Verlust von Kontrolle und Individualität geht, ist der Schlaf anderen Phänomenen wie dem Rausch, der Ekstase, der Halluzination oder der Trance verwandt. Der Schlaf erinnert an den Tod, an Passagen, an Schwellen. Er hat archaische und mythische Dimension – und ist deswegen dem modernen Denken konträr entgegengesetzt: nicht nur von protestantischem Fleiss, sondern auch von der Vorstellung von politischer Aktivität und subjektiver Handlungsmacht. Wie könnten SchläferInnen und Faulpelze unsere Welt ändern? Denn bewusst leben wir nur in der wachen Welt; nur diese ist die soziale Welt, die geteilte und gemeinschaftliche Welt, die wir nicht aufgeben dürfen, oder wie es Elisabeth Bronfen formuliert: «Wir brauchen die Nacht, um am Morgen in eine gemeinsame Welt zu erwachen».

Es ist diese nutzlose, bewusstlose und im wahrsten Sinn des Wortes ver-rückte Dimension des Schlafs und ihr Hineinwirken in den Tag, die uns für diese Ausstellung interessiert. Das Ich im Schlaf lässt sich nicht vereinnahmen, denn es ist weggeglitten; sogar der Powernap birgt unkontrollierte Momente. Insofern bergen Schlaf, Traum und Rausch widerständige Momente; eine Form von Widerständigkeit jedoch, die passiv strukturiert ist und sich eher durch das Aussetzen, den Entzug oder das Nicht-Einhalten bestimmter Regelwerke als durch Revolte auszeichnet.

Schlaf, Traum und Rausch in der Kunst wurden immer dann virulent, wenn es um den Entwurf einer Gegenästhetik zum Rationalismus ging. Der Surrealismus versuchte, die passiven und geheimnisvollen Kategorien von Schlaf, Traum und Rausch ästhetisch und politisch fruchtbar zu machen. «Die Kräfte des Rausches für die Revolution zu gewinnen, darum kreist der Sürrealismus in allen Büchern und Unternehmen», resümierte Walter Benjamin die surrealistische Ästhetik. «Le poète travaille», schrieb der Dichter Saint-Pol-Roux an seine Schlafzimmertüre, wenn er sich morgens schlafen legte und nicht gestört werden wollte. Diese von Walter Benjamin erwähnte Anekdote ist aus zweifacher Perspektive interessant: Einerseits spielt sie mit der modernen Vorstellung, dass das Künstlerdasein anderer Zustände bedürfe, dass Kreativität sich erst in der Auszeit zu den Mühen des Arbeitslebens einstellt, dass es, um visionär zu sein, einer Empfänglichkeit und Passivität bedürfe, wie sie exemplarisch im Schlaf zu finden ist. Andererseits wird gerade hier mit der bürgerlichen Vorstellung von Arbeit gespielt. Indem der schlafende, Kräfte tankende, im Moment gerade nichts leistende Künstler als ein Arbeitender (und nicht ein Faulpelz) benannt wird, übernimmt er vordergründig die Ideologie bürgerlichen Fleisses und industrieller Produktivität, die unablässig produziert, und führt sie doch ad absurdum.

Bezug nehmend auf solche Konzepte geht dieses Projekt der Frage nach, wie der Schlaf heute erfahren und künstlerisch adäquat dargestellt wird, in einer Gesellschaft, die mittlerweile gerne als schlaflose oder 24-Stunden-Gesellschaft benannt wird. Wie sieht eine Ästhetik des Schlafs heute aus? Wie wäre ihre entschleunigende Funktion zu werten? Hat sie als widerständige oder utopische Kategorie noch Gültigkeit?

Veranstaltungen:
Performance «Pink Noise/Fishing for Sound»
Vortrag Alexei Penzin «Sleep, Politics and Subjectivity»
Tanzperformance «Dumped Dreams»
Offenes Gespräch: «Schlaf als widerständige Praxis?»
HörLesung «wir schlafen nicht» von und mit Kathrin Röggla
Performativer Event von «bolwerK» mit Marthe van Dessel