installation view: Hofmann&Lindholm: Serie Deutschland
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Überblendungen. Das Zukünftige rekonstruieren
9. Oktober 2010 bis 30. Januar 2011
Kuratiert von Anke Hoffmann und Yvonne Volkart

KünstlerInnen: Zbynek Baladrán, Rossella Biscotti, Daniela Comani, Christoph Draeger, Karen Geyer, Hofmann&Lindholm, knowbotic research, Uriel Orlow, Suzanne Treister, Sarah Vanagt, Miriam Visaczki

In den letzten Jahren hat sich die Kunst vermehrt mit der Vergangenheit und der Frage von Geschichte auseinandergesetzt. Dabei geht es nicht mehr nur darum, dass sie im Gegensatz zur Geschichtswissenschaft die Fragen von Gedächtnis und Erinnerung in den Vordergrund rückt und neue Weisen des Erzählens erkundet. Vielmehr setzt sie sich auch mit geschichtsbildenden Prozessen selbst auseinander und fragt, wie und mit welchen Mitteln sich bestimmte Geschichtsbilder und historische Erzählungen durchsetzen oder nicht. Mit einem neu erwachten Selbstbewusstsein betrachtet sie sich als Teil historischer Diskurse und versteht sich als eine Form von Geschichtsschreibung. Denn Geschichte ist immer Geschichtsschreibung, oftmals eine verbale Darstellung von etwas Gewesenem, eine nachträgliche Konstruktion von etwas real Geschehenem. Geschichte ist Vergegenwärtigung von Vergangenem, vielleicht sogar Vergessenem oder Verdrängtem. Und sie ist immer, so wie alles Geschriebene und Gedachte, interessegeleitet – unabhängig davon, ob wir darunter eine Disziplin der Wissenschaft oder im Alltag gelebte Gedächtniskultur verstehen. Kurzum, die Vorstellung von Geschichte als die eine, grosse Wahrheit im linearen Fluss bahnbrechender Ereignisse ist nicht nur (ideologie)verdächtig geworden, sondern sie erscheint auch – gerade auch vor dem Hintergrund vernetzter Medien – als nicht mehr zeitgemäss.

So wie die Geschichtswissenschaft sich diesen Herausforderungen gestellt und ihre Prämissen durchgearbeitet hat, so mischt sich heute die Kunst vermehrt in die Debatte ein und schreibt Geschichte weiter oder gar um. Dies mit klarem Bezug zu den aktuellen Diskursen in der Geschichtstheorie, in welcher unter anderem auch subjektive Formen des Erzählens und biografische Spurensuchen wissenschaftswürdig geworden sind. Die Kunst ist sowohl Ort als auch Handlungsträger, der Geschichte re-aktualisiert und subjektive Formen der Geschichtsschreibung erprobt. Unserer Meinung nach ist die Kunst, beziehungsweise genauer gesagt, engagierte Kunst sogar besonders gut für dieses neue Vorgehen der Geschichtsschreibung geeignet, ist sie doch seit jeher ein Feld gewesen, das ästhetische Verfahren und Strategien gegen die dominante Kultur und deren mögliche Vereinnahmungen entwickelte. Dies ist besonders zu einer Zeit wie heute zu bedenken, in der historisches Wissen nicht mehr nur über Geschichtsbücher oder patriarchale Lehrer, sondern wesentlich auch über das Medienspektakel von Hollywood-Filmen oder soziale Plattformen im Internet generiert wird, und wo wir ausserdem statt einem Mangel einer Überfülle von Informationen gegenüberstehen.

In der aktuellen Kunst, in der digitalen Medienkunst und im dokumentarisch-experimentellen Film wurden und werden diverse Praktiken entwickelt, die dem Spektakel und der Akkumulation auch die Lücken und Verluste entgegenstellen, um die es bei Geschichte zwangsläufig geht, gehen muss. Viele Projekte suchen nach zeitgemässen Formen für die Überlieferung und Darstellung von Vergangenheiten und gehen gleichzeitig über historisierende, wissenschaftliche und die in den Massenmedien und digitalen Speichern verwendeten Formen der Geschichtsdeutung hinaus.

Ein wichtiges Moment in der neuen Geschichtsdeutung etwa ist die Sprengung der Fiktion einer einheitlichen und ganzen Erzählung der Vergangenheit, sei es der Biografie, der nationalen Geschichte oder der, wie im Hollywood-Film gängig, Anti-Heldengeschichte. Das Interesse am Vergangenen scheint vor allem daher zu rühren, dass man Geschichte nicht als gegeben, sondern als komplexes, vielschichtiges Bündel an Erzählungen im Plural versteht. Geschichte muss immer wieder anders erzählt, umgeschrieben werden können. Viele KünstlerInnen widmen sich diesem Aspekt des Wiedererzählens, Umschreibens, Verschiebens oder Collagierens. So wie KünstlerInnen sich für die Bruchstellen und Ausblendungen interessieren, so ist es auch interessant zu sehen, welche Ereignisse (oder eben gerade Nicht-Ereignisse) ausgewählt werden und was damit als geschichtsrelevant verstanden wird. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Auseinandersetzung mit den ungeheuren Speicherkapazitäten und der kritiklosen Anhäufung oder offensichtlichen Manipulation von Informationen. Und nicht zuletzt bezieht sich der Titel «Überblendungen» auf eine künstlerische Strategie, die wir ins Zentrum stellen möchten. Sie bedeutet, dass wir mit dem Blick von Heute das Gestern in ein Licht rücken, welches einen möglichen «Film» für das Morgen vorspurt. So überlagern sich Zeiten und Interessen, der distanzierte Blick verschwindet und wird im besten Sinne zu einem «gemeinsamen» Unternehmen, das Orte, Zeiten, Dinge und Menschen verbindet.

Die Auseinandersetzung mit Geschichte dient somit nicht nur dazu, einen anderen Zugang für das Gewesene herzustellen, damit dieses anders beurteilt werden kann, sondern es dient vielmehr auch dazu, uns Handlungsmöglichkeiten für die Zukunft vorstellen zu können und Möglichkeiten zu schaffen, in die sich die ZuschauerInnen «einschreiben» können. So gesehen hat Geschichte also auch mit Fantasie zu tun, mit der Fantasie, sich eine Welt anders ausmalen zu können als so, wie sie sich uns normalerweise und unumstösslich präsentiert.

Das Ausstellungs- und Veranstaltungsprojekt «Überblendungen» wird nach solchen «anderen» Formen der geschichtlichen Darstellung in zeitgenössischer Kunst suchen, sie erforschen und in einen geistesgeschichtlichen, diskursiven Horizont einbetten. Im Zentrum steht die Frage, mit welchen Mitteln die Kunst arbeitet, welche spezifischen Ästhetiken sie entwickelt und was sie dadurch an Erkenntnis hervorbringt, die so kein anderes Wissensgebiet leistet.

Veranstaltungen:

Filmvorführungen und Gespräch mit Sarah Vanagt, Brüssel
Begin Began Begun (2003)
Boulevard d'Ypres / Ieperlaan (2010):

Cross-Talk Kunst, Wissenschaft, Geschichte
Der Geschichtswissenschaftler Beat Näf (Universität Zürich), die Kunsttheoretikerin und Kuratorin Ute Vorkoeper (Hamburg), der Kurator Raffael Dörig (Shiftfestival und [plug.in], Basel), die Kuratorinnen Anke Hoffmann und Yvonne Volkart sowie die KünstlerInnen der Ausstellung Christoph Draeger, Suzanne Treister, Sarah Vanagt und Miriam Visaczki stellen ihre Ansätze vor und untersuchen in einem gemeinsamen Gespräch das jeweils Besondere ihrer Methoden. Auffallend etwa ist, dass in den von uns gezeigten künstlerischen Positionen im Gegensatz zur geschichtswissenschaftlichen Darstellung das Ereignis selbst oft undeutlich, überlagert oder gar absent erscheint.

Performance & Lecture: «Atlas of Transformation»
Zbyn?k Baladrán (Ausstellung «Überblendungen») und Vít Havránek (Kuratoren der aktuellen Manifesta 8 in Murcia) werden anlässlich der Neuerscheinung der englischen Ausgabe «Atlas of Tranformation» (erschienen Winter 2010 bei JRP Ringier) das Projekt und die Publikation in einer temporären Installation und performativen Lecture vorstellen.