Happy Believers
7. Werkleitz-Biennale, Ausstellung und Festival
6. -10.9.2006, Halle/S.
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Statement des Kuratoriums (Anke Hoffmann, Solvej Ovesen, Angelika Richter, Jan Schuijren)

Wir glauben, dass die Frage nach der gesellschaftlichen und individuellen Bedeutung des Glaubens ein aktuelles kulturelles Thema ist, das nicht zuletzt auch für kunstwissenschaftliche Diskurse und künstlerische Praxis relevant ist. Wir sprechen dabei weniger von der in letzter Zeit viel zitierten ‚Wiederkehr der Religion’, sondern gehen von unserer Beobachtung aus, dass es sich um ein wieder erstarkendes Interesse an Religiösität und Glaubensphänomenen in der modernen Gesellschaft, also um die Wiederkehr eines religiösen Bedürfnisses handelt. Seit wir Anfang 2005 mit der kuratorischen Arbeit begonnen haben, steht die Auseinandersetzung mit den kulturellen, politischen und gesellschaftlichen (Be-)Deutungssystemen des Glaubens im Zentrum unseres Interesses.
Unsere unmittelbare Gegenwart ist gekennzeichnet durch kulturelle Pluralisierung von Lebenswelten und Wertediskursen sowie einer gesellschaftlichen Komplexität, die jeden Menschen herausfordert. Individualisierungsprozesse, Irritationen der Identität und das Bedürfnis nach Orientierung bei gleichzeitiger Vervielfältigung von Entscheidungsmöglichkeiten sind die Konsequenz. Keine religiöse oder politische Autorität kann uns noch eine klare Definition von Sinn verordnen oder ein gesellschaftlich sanktioniertes Streben nach der kollektiven Umsetzung einer Utopie oder eines Heilsversprechens vermitteln. Die Beantwortung existenzieller Fragen, selbst die nach dem Sinn des Lebens, wird mehr und mehr zur privaten Angelegenheit – und mit dem Zugriff auf unterschiedliche Wertesysteme zu lösen versucht. Sinn- und Glaubensangebote lassen sich nicht nur in religiösen und spirituellen Sphären, sondern inzwischen auch in den kulturellen Feldern von Kunst, Literatur, Kino und Fernsehen finden, wobei sich die Erlebnis- und Erkenntniswelten aus den unterschiedlichen Bereichen überschneiden können. Dabei schaffen gerade die Medien in ihren temporären Gegenwelten Freiräume außerhalb der Realität, welche durch Kontrolle, materielle Abhängigkeiten, Armutsgefälle und fehlende Zukunftskonzepte geprägt zu sein scheint. Der Wunsch nach Identität und Sinnhorizonten kann auch in der Teilnahme an kollektiv aufgeladenen Großereignissen Erfüllung finden; angefangen beim XX. Weltjugendtag bis hin zur Euphorie der Fußballweltmeisterschaft – Events, die die Erfahrung eines kollektiven Gemeinschaftsgefühls und eines Gleichklangs der Emotionen vermitteln.
Bedingt durch die Ausrichtung der Werkleitz Biennale als Medienkunstfestival sind wir aber auch den Tendenzen der modernen Medienkultur nachgegangen. Einerseits lässt sich eine Übernahme religiöser Motive und Rituale in der Unterhaltungskultur beobachten, andererseits inszenieren sich die verschiedenen Glaubensgruppen immer mediengerechter.Darüber hinaus hat uns die Instrumentalisierung von Bedürfnissen interessiert, wie dies im Bereich der Ökonomisierung des Glaubens durch Werbung und durch Ritualisierung der konsumistischen Warenwelt geschieht.
Von der Visualisierung ideologischer und ökonomischer Kämpfe um die Vormachtstellung von monotheistischen Religionen im aktuellen Weltgeschehen, von Themen wie Islamismus und Fundamentalismus oder von Wertedebatten, die sich am abendländisch-christlichen Weltbild orientieren, haben wir uns bewusst ferngehalten – oder diese nur peripher gestreift. Als Kurator und Kuratorinnen möchten und können wir mit den eingeladenen Beiträgen der Werkleitz Biennale keine wissenschaftlich korrekte oder politisch sachliche Argumentation für oder gegen politische, ökonomische und religiöse Verflechtungen im Weltgeschehen liefern. Unsere Möglichkeit sehen wir in einem spezifischen, aus der Kunstpraxis kommenden Blick auf Phänomene unserer gegenwärtigen Kultur, Phänomene die uns beschäftigen und berühren. Wir sind fasziniert von den vielfältigen Ausprägungen de-institutionalisierter und individueller Glaubenspraxis heute und sehen in ihr eine gewisse Affinität zur Offenheit und Wirksamkeit künstlerischer Arbeit, die in Kontrast zu den ernüchternden Alltagsrealitäten stehen.
So ist ein Ergebnis des kuratorischen Prozesses, dass wir besonders viele Beiträge eingeladen haben, die sich mit Formen privater Glaubenspraxis auseinandersetzen und individuelle Betrachtungsansätze auf unsere Fragestellungen ermöglichen.
Wir sind uns natürlich bewusst, dass wir mit der Ausstellung, dem Filmprogramm und den Live-Veranstaltungen der 7. Werkleitz Biennale dazu beitragen, den Diskurs über die Relevanz des Glaubens fortzusetzen. Letztendlich aber sehen wir unsere Kompetenz in der Formulierung von Fragen. Wie die Besucher und Besucherinnen der Biennale wollen wir uns überraschen lassen von dem Zusammenspiel der Arbeiten, von dem Erlebnis der Biennale als experimentellem Denkraum, der allen offen steht.


Happy Believers

Concept by the curatorial team (english)

We believe that the question of the social and individual significance of belief is a highly current cultural issue, relevant not least for art theory and art praxis. By this we do not so much mean the often mentioned ‘return of religion’, but take as our starting point the observation that there is a returning interest in religiosity and phenomena of belief in modern society – in other words, a return of a need for religion. Since we began working on this project in early 2005, the engagement with cultural, political, and social systems of belief has been at the centre of our interest.
Our immediate present is marked by the cultural pluralisation of lifeworlds and value discourses as well as a social complexity that challenges us all. Processes of individualisation, disturbances of identity, and a longing for orientation with the simultaneous multiplication of possibilities of decision are the result. No religious or political authority can provide us with a clear definition of meaning, or communicate a socially sanctioned aspiration for the collective implementation of a utopia or a promise of redemption. Answers to existential questions, even that of the meaning of life, are becoming and more a private matter – and these answers are sought by accessing various systems of value.
Meaning and belief can not only be found in religious and spiritual spheres, but in the cultural fields of art, literature, film, and television as well, whereby, the worlds of experience and knowledge from the various areas can overlap. Here, it is especially the media which in their temporary counterworlds create free spaces outside reality that seem marked by control, material dependence, gaps between wealth and poverty, and lacking concepts of the future. The longing for identity and horizons of meaning can also be found in the participation in collectively charged mass events: from the Twentieth World Youth Day to the euphoria of the World Cup, events that provide an experience of a collective communal feeling and a unisonality of emotions. Due to the Werkleitz Biennale’s focus as a media art festival, we also explored tendencies in modern media culture. On the one hand, the adoption of religious motifs and rituals can be observed in entertainment culture, at the same time, the various belief groups present themselves in ways that are ever better suited to the media.
In addition, we were also interested by the instrumentalisation of needs as it takes place in the realm of the economisation of belief in advertising and the ritualisation of the consumerist world of commodities. We have consciously maintained a distanced from issues like the visualisation of ideological and economic struggles around the dominance between the monotheistic religions in current world events, issues like radical Islamic fundamentalism or value debates that are oriented around the Western Christian worldview.
With the invited contributions to the Werkleitz Biennale, we as curators do not want (and cannot) to offer any correct or politically feasible arguments for or against the entanglement of political, economic, and religious aspects in world events. We see our possibility in a specific point of view, coming from artistic praxis, to phenomena of our current culture, phenomena that occupy us and touch us. We are fascinated by today’s multiple forms of deinstitutionalized and individual belief practice, and see here a certain affinity to the openness and impact of artistic work, which stands in contrast to the sobering realities of everyday life. One result of this curatorial process is that we invited many contributions that engage with forms of private religious praxis and enable individual approaches to our questions. We are of course aware with the exhibition, the film programme, and the live events, the 7th Werkleitz Biennale will contribute to continue the debate on the relevance of belief. Ultimately, we see our task in the formulation of questions. Like the visitors to the biennial, we want to be surprised with the play of works, by the experience of the biennial as an experimental space for thought open to all.